Kapitel 10: Wirtschaftsgeografie und Globalisierung – Wie die Welt wirtschaftlich zusammenwächst

Woher kommen die Produkte, die wir täglich nutzen? Wie hat sich die Art und Weise, wie Menschen arbeiten und wirtschaften, im Laufe der Zeit verändert? Und was bedeutet es, wenn wir von einer "globalisierten Welt" sprechen? Die Wirtschaftsgeografie beschäftigt sich mit diesen Fragen. Sie untersucht, wie wirtschaftliche Aktivitäten räumlich organisiert sind und wie sich Wirtschaftsstrukturen wandeln. Ein grosses Thema dabei ist der Strukturwandel von der Agrar- zur Dienstleistungsgesellschaft und die zunehmende weltweite Verflechtung von Wirtschaft, Politik und Kultur – die Globalisierung.

Der Wandel der Wirtschaft: Das Sektorenmodell nach Fourastié

Um die langfristige Entwicklung von Volkswirtschaften zu verstehen, wird oft das Drei-Sektoren-Modell (oder Sektorenmodell) nach Jean Fourastié verwendet. Es teilt die Wirtschaft in drei Hauptbereiche (Sektoren) ein und beschreibt, wie sich die Bedeutung dieser Sektoren (gemessen an der Anzahl der Beschäftigten oder dem Anteil am Bruttoinlandsprodukt) im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung typischerweise verschiebt:

Fourastié beschrieb einen typischen Verlauf des Strukturwandels:

  1. Agrargesellschaft (Beginn der Industrialisierung): Der primäre Sektor dominiert, die meisten Menschen arbeiten in der Landwirtschaft. Der sekundäre und tertiäre Sektor sind noch klein.
  2. Industriegesellschaft: Durch technischen Fortschritt und Rationalisierung sinkt der Anteil der Beschäftigten im primären Sektor. Der sekundäre Sektor wächst stark und wird zum wichtigsten Arbeitgeber. Auch der tertiäre Sektor beginnt zu wachsen.
  3. Dienstleistungsgesellschaft ("reife" Wirtschaft): Der sekundäre Sektor verliert an Bedeutung (z.B. durch Automatisierung und Verlagerung der Produktion). Der tertiäre Sektor wird zum dominierenden Sektor mit den meisten Beschäftigten.

Eine grafische Darstellung dieses "Schematischen Verlaufs der Erwerbssektoren während der wirtschaftlichen Entwicklung (Fourastié-Modell)" findest du im "Arbeitsdossier - Woche 12" auf Seite 2 (Quelle: Hasler/Egli, 2022).

Frage (aus Arbeitsdossier Woche 12, S.2, Aufgabe a): Erklären Sie die Hauptaussage des Modells [nach Fourastié].

Antwort einer gut vorbereiteten Schülerin: Die Hauptaussage des Sektorenmodells nach Fourastié ist, dass sich im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung einer Gesellschaft die relative Bedeutung der drei Wirtschaftssektoren (primär, sekundär, tertiär) systematisch verschiebt. Typischerweise beginnt es mit einer Dominanz des primären Sektors (Agrargesellschaft). Mit der Industrialisierung gewinnt der sekundäre Sektor an Bedeutung und wird zum grössten Arbeitgeber (Industriegesellschaft). In einer "reifen" oder postindustriellen Wirtschaft dominiert schliesslich der tertiäre Sektor (Dienstleistungsgesellschaft), während die Anteile der Beschäftigten im primären und sekundären Sektor stark zurückgehen.

Frage (aus Arbeitsdossier Woche 12, S.2, Aufgabe b): Welches sind mögliche Messgrössen, um die tatsächliche Entwicklung zu prüfen?

Antwort einer gut vorbereiteten Schülerin: Um die tatsächliche Entwicklung der Sektoren zu prüfen, können verschiedene Messgrössen herangezogen werden:

Diese Daten werden von statistischen Ämtern erhoben und veröffentlicht.

Frage (aus Arbeitsdossier Woche 12, S.2, Aufgabe e): Inwiefern könnte das Modell der 1960er Jahre ergänzt werden?

Antwort einer gut vorbereiteten Schülerin: Das klassische Drei-Sektoren-Modell könnte ergänzt werden, um neueren Entwicklungen gerecht zu werden. Eine häufige Ergänzung ist der Quartäre Sektor, der oft hochqualifizierte Dienstleistungen im Bereich Information, Kommunikation, Forschung und Entwicklung (IT, Beratung, Medien) umfasst, die früher dem tertiären Sektor zugeordnet wurden. Manchmal wird auch ein Quintärer Sektor (Entsorgung, Kreislaufwirtschaft) diskutiert. Diese Erweiterungen tragen der zunehmenden Spezialisierung und Bedeutung von wissensbasierten Dienstleistungen in modernen Volkswirtschaften Rechnung.

Strukturwandel in der Schweiz

Auch die Schweiz hat diesen Strukturwandel durchlaufen und ist heute eine hochentwickelte Dienstleistungsgesellschaft. Der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft (primärer Sektor) ist sehr gering, der Industriesektor ist immer noch bedeutend (insbesondere hochwertige Spezialprodukte), aber der Dienstleistungssektor dominiert klar.

Die Verteilung der Sektoren in der Schweiz und die Bedeutung der Schweizer Landwirtschaft werden im "Arbeitsdossier - Woche 12" auf Seite 3 thematisiert.

Die Schweizer Landwirtschaft: Mehr als nur Lebensmittelproduktion

Obwohl nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, spielt sie in der Schweiz eine wichtige Rolle, die über die reine Lebensmittelproduktion hinausgeht. Gemäss Bundesverfassung (Art. 104) hat die Landwirtschaft mehrere Aufgaben:

Die Schweizer Landwirtschaft hat einen starken Strukturwandel erlebt (weniger, aber grössere Betriebe, Mechanisierung). Um die vielfältigen Aufgaben zu erfüllen und die oft schwierigen Produktionsbedingungen (z.B. im Berggebiet) auszugleichen, wird sie staatlich unterstützt. Früher geschah dies vor allem über eine Preispolitik (garantierte Abnahmepreise). Heute dominiert eine Einkommenspolitik mit Direktzahlungen, die an ökologische und tierfreundliche Produktionsweisen geknüpft sind.

Die Aufgaben und der Wandel der Schweizer Landwirtschaft sowie die agrarpolitischen Systeme werden im "Arbeitsdossier - Woche 12" auf Seite 3 detailliert behandelt, inklusive der Fragestellungen zu den Aufgaben gemäss Bundesverfassung und den Problemen der Unterstützungssysteme.

Frage (aus Arbeitsdossier Woche 12, S.3, Aufgabe 1): Diskutieren Sie die Aufgabe der Schweizerischen Landwirtschaft gemäss Bundesverfassung. Erläutern/Bewerten Sie jeden der Punkte a-e.

Antwort einer gut vorbereiteten Schülerin:

Die Landwirtschaft erfüllt also vielfältige gesellschaftliche Aufgaben, die über die reine Lebensmittelproduktion hinausgehen und staatliche Unterstützung rechtfertigen können.

Frage (aus Arbeitsdossier Woche 12, S.3, Aufgabe 4): Erklären Sie die beiden Systeme der Preispolitik und der Einkommenspolitik in der Landwirtschaft. Welche Probleme führten zum Wechsel der Unterstützung des Bundes?

Antwort einer gut vorbereiteten Schülerin:

Probleme der Preispolitik, die zum Wechsel führten, waren: Die Umstellung auf Direktzahlungen sollte diese Probleme mildern und die Landwirtschaft stärker auf gesellschaftliche Leistungen und Marktbedingungen ausrichten.

Globalisierung: Die vernetzte Welt

Die Globalisierung bezeichnet den Prozess der zunehmenden weltweiten Verflechtung in verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Kultur und Kommunikation. Sie ist gekennzeichnet durch:

Die Globalisierung wird durch verschiedene Faktoren angetrieben, darunter technologische Fortschritte (Transport, Kommunikation), politische Entscheidungen (Abbau von Handelshemmnissen) und das Streben von Unternehmen nach neuen Märkten und günstigeren Produktionsstandorten.

Messung der Globalisierung

Ein bekannter Index zur Messung der Globalisierung ist der KOF Index of Globalization der ETH Zürich. Er berücksichtigt drei Dimensionen:

  1. Wirtschaftliche Globalisierung: z.B. Handelsvolumen, ausländische Direktinvestitionen, Zölle.
  2. Soziale Globalisierung: z.B. persönliche Kontakte (Telefon, Tourismus), Informationsflüsse (Internet, Zeitungen), kulturelle Nähe (McDonald's, Ikea).
  3. Politische Globalisierung: z.B. Anzahl Botschaften, Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, Teilnahme an UN-Missionen.

Eine detaillierte Auflistung der Indizes und Variablen des KOF Index (Version 2015) findest du im "Arbeitsdossier - Woche 12" auf Seite 4.

Vor- und Nachteile der Globalisierung

Die Globalisierung hat vielfältige Auswirkungen, die oft kontrovers diskutiert werden:

Mögliche Vorteile:

Mögliche Nachteile:

Die Diskussion von Vor- und Nachteilen der Globalisierung wird im Text "Globalisierung" (aus Geographie wissen und verstehen) im "Arbeitsdossier - Woche 12" auf Seite 5 angestossen. Die Fragen "Wie erfahren Sie persönlich die Globalisierung?" und "Wie würden Sie Globalisierung messen?" auf Seite 4 regen zur Reflexion an.

Wirtschaftsgeografie und Globalisierung zeigen, wie eng unsere lokale Wirtschaft mit globalen Prozessen verknüpft ist und wie wichtig es ist, diese Zusammenhänge zu verstehen, um die Herausforderungen und Chancen einer vernetzten Welt zu gestalten.